Wie wir 1950 von
Kujbyschew nach Moskau kamen.
1. Anzeichen einer Änderung.
1.1. Bereshnoj, Stellvertreter des Direktors des Versuchs Werkes
Nr.2 des Ministeriums für Flugindustrie und Sachbearbeiter für
Wirtschaftsfragen, leitete den Arbeitskreis zum Studium der Geschichte der
Kommunistischen Partei der Sowjetunion im OKB 3; dabei erklärte er im April
1950, dass nach Rückkehr des Gewerkschaftssekretärs Gusinski
von seinem Besuch in Kujbyschew Entscheidungen in Moskau gefallen seien, die
sehr im Interesse der Deutschen lägen um bestimmt von den Deutschen begrüßt
würden: mehr dürfe er nicht sagen.
1.2. Bei
der letzten Saison-49/50-Zusammenkunft des genannten Arbeitskreises im Mai 1950
gebrauchte Bereshnoj etwa folgende Abschiedsworte: er
bedanke sich für unser regelmäßiges erscheinen, und sollten wir im Herbst noch
Beisammensein, so würde er sich freuen, wieder bei uns den Arbeitskreis leiten
zu können. Auf die Frage unsererseits, ob denn eine gewisse Wahrscheinlichkeit
bestehe, dass wir im Herbst nicht mehr zusammen seien, meinte er, Änderungen
könnten eintreten, aber er könne nicht
darüber sprechen.
1.3. Der
Direktor des Versuchswerks Nr.2 Oberstleutnant Olechnowitsch
wurde im Sommer 1950 durch einen anderen abgelöst. Daher zog er mit seiner Familie
von Uprawlentscheski weg. Ein Deutscher (nicht
Angehöriger vom OKB 3), der in der Finnensiedlung wohnte, wollte Frau Olechnowitsch die Hühner abkaufen, um selbst eine Hühnerzug
zu beginnen. Aber Frau Olechnowitsch sagte ihnen,
dass sich das für ihn nicht mehr lohne, und verkaufte ihre Hühner an keinen
Deutschen.
1.4. Wie
mir Walentina Pawlowna Tronina, meine Assistentin, auf Grund dessen, was sie vom
Chef Konstrukteur des OKB 3 Mitjaschin gehört hatte, versicherte, weitete sich
das Ministerium für Flugindustrie hartnäckig, die Mittel für die OKB 3 betriebene
Entwicklung eines Flugreglers über den 31.8.1950 hinaus zu verlängern, obgleich
bis dahin die Entwicklungsarbeiten nicht abgeschlossen sein würden.
2. Wirkung dieser Anzeichen besonders auf die
leitenden Deutschen im OKB 3.
2.1. Als
Ende Juli 1950 wohl aufgrund der Möglichkeit, das für die bestehenden Arbeiten
keine Mittel mehr nach dem 31.6.1950 zur Verfügung stehen würden, ein Moskauer
Institut 2 Ingenieure zu uns sandte, um eventuell Bauelemente bei uns
anfertigen zu lassen, erklärte Waldemar Müller (Nach Rückkehr 1958 Bodensee
Werk Überlingen), zu mir (und wahrscheinlich auch zu anderen): „ich will große
Aufgaben“.
2.2. Doktor
Pfeiffer jammerte: hoffentlich werden wir nicht repatriiert; denn es gibt ja in
der DDR noch nicht genug Kartoffeln und außerdem wollte ich meinen Sohn in
Moskau studieren lassen.
2.3.1 Von
gut informierter Stelle erfuhr ich:
Aus Sorge,
im OKB 3 Arbeit im Sinne große Aufgaben für Müller über den einen 30.8.1950 hinaus
zu beschaffen, reiste Ende Juli 1950 der Leiter des OKB 3 Oberst Leontjew nach Moskau. Nach zwei Wochen kam er ergebnislos
zurück.
2.3.2 Darauf
reiste der Chef Konstrukteur Mitjaschin zum gleichen Zweck nach Moskau; er kam
nach etwa zwei Wochen mit Erfolg zurück.
3. Die
Kommission
Am 25.8.1950
erschien im OKB 3 eine Besichtigungskommission aus drei Personen:
3.1 Ein
großer dunkelhaariger Mann, der beim Gang durchs UKB drei Kein Wort sprach.
3.2.Panfilow auf, Sohn des Generals Panfilow
auf der durch die Kämpfe bei der Verteidigung Moskaus Endeoktober
1941 bekannt geworden ist.
3.3.Tschishow, Abteilungsleiter in einem „Spezialbüro“ (SB) in Moskau und, wie sich später herausstellte,
persönlicher Freund Mitjaschins. Er war daher
vermutlich der Anknüpfungspunkt für den Erfolg gewesen.
3.4. Nach
einer Besprechung mit dieser Kommission erklärte Möller den deutschen Mechanikern
des OKB 3, ( ich erfuhr es durch Pooch):
3.4.1 Auf
die Frage, wo er am besten arbeiten könne, an einem Ort wie hier in Uprawlentscheski oder woanders, habe er geantwortet: an
einem größeren Ort mit kurzen Verbindungen zu maßgebenden Stellen und zu
Zulieferern ginge die Arbeit schneller voran.
3.4.2 Auf
die Frage, wie lange es noch dauere, bis er seine jetzige Entwicklung, die „Dynuktiv“- Steuerung, fertig habe, habe er geantwortet, ein
Jahr unter der Voraussetzung, das er seine deutschen Mitarbeiter und auch die
deutschen Mechaniker zur Verfügung habe.
4. Die
Repatriierungen
Am Montag,
4.9.1950, wurden um 16 Uhr etwa 200 Deutsche in den Klub geladen, wo ihnen
General Lukin verkündete, dass sie jetzt repatriiert würden. Alle anderen Deutschen
kämen spätestens bis Mitte 1952 an die Reihe. Vom OKB 3 waren außer Kurt Zeumer und Dr. Lange (früherer DVL-Direktor)
nur ältere Mechaniker dabei. Frl. Hubert, Zeumers
jetzige Sexualgenossin, wurde im beidseitigem Einverständnis gegen Frau Schlotke, Zeumers Sexualgenossin
zur Zeit der Verlagerung in die Sowjetunion und jetzige Konkubine von Sehorsch, ausgetauscht. Es wurden drei Transporte
eingeteilt. Diese Repatriierung beweist wie die viele Anzeichen vom Punkt 1
auszulegen waren sie. Sie konnten auf keinen Fall im Sinne von 2.3.2 ausgelegt
werden, weil alle dieser Anzeichen schon vorhanden waren, bevor 2.3.2 eintrat.
Es ist daher anzunehmen, dass ohne das Eintreten von 2.3.2 fast das ganze OKB 3
repatriiert worden wäre, wie dies auch beim OKB 4 der Fall war, wo nur der
Leiter Kurt Müller noch in der Sowjetunion bleiben musste.
5. Die
Einleitung der Verlagerung nach Moskau
Seit dem
Erscheinen der Kommission am 25.9.1950 nahmen die Gerüchte einer bevorstehen
Verlagerung nach Moskau immer mehr zu. Aufgrund des Studiums der Geheimakten Nr.
1820 des Unternehmens Moskau Postfach 1323, das die Überleitung des OKB 3 in
das genannte Moskauer Institut, einem „Spezial- Büro“, enthielt weiß ich:
5.1. Am
6.9.1950 erließ der Ministerrat der Sowjetunion die Verordnung zur Überleitung
des OKB 3 in das Spezialbüro Postfach 1323.
5.2. Am 8.9.1950
erließ das Ministerium für Flugindustrie den entsprechenden Befehl.
6. Die
Verlagerung nach Moskau
6.1. Am 13.9.1950
morgens auf dem Weg zum Werk traf ich Leontjew. Wir
gingen zusammen. Er unterhielt sich sehr freundlichen und unverfänglich mit
mir. Eine Stunde nach Arbeitsbeginn, um 8.30 Uhr, wurde mir mitgeteilt, dass
ich sofort nach Hause gehen soll, dass ich nach zwei Stunden mich vor dem Haus
45 ein finden soll, wo dann ein Autobus bereit stehe; ich würde mit sieben
anderen (Lonn, Möller, Pfeiffer, Winkler, Belitz, Senst, Tempel) zum Flugplatz gebracht, um nach Moskau an
unseren neuen Arbeitsplatz zu fliegen: unsere Familien und das gesamte übrige
OKB 3 (außer die im September 1950 zu Repatriierenden und Herrn Link) folgen
etwas später per Bahn. Diese Nachricht überbrachte mir Baader. Frau Möller (und
Katze) kam auch gleich mit, weil ihr Mann infolge seiner selbst verschuldet
verstümmelten Hände zu unselbständig war. Leontjew
leitete diesen Transport
6.2. Am
24.9.1950 kam das übrige OKB drei und die Familien in Moskau an.
7.
Schlussbemerkungen
7.1. In
Moskau und Umgebung Unterlagen mir einer sehr strengen Aufsicht durch
Inspektoren des Staatssicherheitsdienstes, so dass wir von den nun kurzen
Verbindungen zu maßgebenden Stellen kaum unerwünschten Gebrauch machen konnten.
Über die uns angebenlich Schutz und Freiheit
garantieren sollende Überwachungen war ich so verärgert, dass ich beschloss
nicht mehr zu fotografieren außer bei besonderen Fällen. Als solche betrachte ich
den Schulbeginn von Karl und Geburt und Heranwachsen von Emma.
7.2. Wir
wohnten erst im Stadtgebiet von Kunzewo, dass damals noch
nicht von Moskauer eingemeindet war, und da in dem Ortseil „Werkssiedlung“ (Rabotschi Posjolok). Wir hatten
zusammen mit den im November aus Monino und den im
Dezember von der Insel Gorodomlija noch zustoßenden Deutschen
drei neue Gebäude die als Gemeinschafts-Wohnkomplex gedacht waren. Alle drei
waren gleich gebaut. Jedes hatte drei Geschosse. In jedem Geschoss waren etwa
20 Zimmer zu je 15 m², eine Gemeinschaftsküche mit anschließenden zu Zurichteraum, ein Gemeinschaftsraum (nur in den Obergeschossen),
zwei Toilettenräume mit je zwei Waschbecken und zwei WC , je einer an beiden
Enden des Geschosses, gedacht getrennt für Männer und Frauen (Männer am einen,
Frauen am anderen Ende des Gebäudes), aber von uns einfach gemischt benutzt;
jeder ging in die näher gelegene Toilette und holte auch dort sein Wasser. Auch
nach unsern Auszug im August 1951 blieben wohl diese Häuser dem Werk Moskau
Postfach 1323 für alleinstehende Personen zur Verfügung. Jedes Zimmer wurde
dann normalerweise mit vier Personen belegt: 4 schmale Einbauschränke waren ja auch
in jedem Zimmer. Dieser Häuser wurden dann als „SDS“-Siedlung
bezeichnet.
7.3. Am 18.8.51
zogen wir in die speziell für uns gebaute
dass damals
noch nicht zu Moskau gehörte, um. Sie bestand etwa aus 100 Häusern, meist
Einfamilienhäuser, auf eingezäunten und bewaffnet bewachten Gelände.
Unter der
Annahme, dass alle Spezialisten, deren Frauen und Familien sich noch in
Deutschland befanden, diese nach der Sowjetunion kommen lassen, wurde die
Siedlung 100, besteht aus etwa 100 Häusern, 1950/51 gebaut. Da nun von
denjenigen die ihre Familien nicht schon bei sich hatten, nur wenige (Bartik, Goldberg, Grosse, Seemann, Stein) von der
Möglichkeit des Nachkommenlassens Gebrauch machten, wurden nicht alle Häuser
für die Deutschen benötigt; daher blieben etwa 20 Häuser von Anfang an
außerhalb des Zaunes. Innerhalb des Zaunes wohnten nur wenige Russen, die
spätestens Anfang 1955 ausquartiert oder ausgezäunt wurden.
Süd-östlich
von unserer Siedlung befand sich bis 1953 einen Gefangenenlagern mit
sowjetischen Spezialisten; das war das Spezkontingent
Nr. 1, das am gleichen Ort arbeitete wie wir. Wir waren das Spezkontingent
Nr.2. Im Sommer 1953 verschwanden diese Gefangenen allmählich; vorübergehend
wohnten Soldaten in dem betreffenden Baracken, und ab
Juli 1954 war unser Arbeitsplatz dahin verlegt.
Am
äußersten Südwestlichen Rand ging die Pionerskaja Uliza entlang.
Jenseitz
des Nordwestenlichen Randes befanden sich von Russen
bewohnten Häuser, u.a. die oben erwähnte etwa 20
Häuser.
Am Nordende
befand sich die nur für uns und für in Tuschino wohnende sowjetische
Arbeitnehmer unseres Werkes zuständige spezielle Poliklinik (Medsantschast Nr.10 des Ministeriums für Gesundheitspflege,
Poliklinik Nr.2).
Am Ostrand
befand sich außerhalb des Zaunes ein Weg und freies Feld. Wir hatten sehr gute Straßenbeleuchtung, auch
am Fußweg entlang des Zaunes zur Pionerskaja Uliza.
Ergänzungen
Zum
Jahrestag (13.9.51) der Versetzung nach Moskau machte ich zwei Gedichte –
Spottgedichte -, eines auf Pfeiffer, eines auf Möller. Das erstere ist verloren
und hatte zum Inhalt die Aussagen Pfeiffers von 2.2.
Das zweite
Spottgedicht ist eine Hypothese über die Gedankengänge Möllers, wie sie in 2.1,
2.3 und 3.4. berichtet sind. Es lautet: (unter „Gerät“ ist die Dynuktiv- Steuerung zu verstehen)
Das gerät
ist beinah fertig. Noch ein
Jahr, dann wär’s soweit. Nirgends
gibt es gleich hochwertig Solcherlei
Gerät zur Zeit. Wie kann
nun der Auftraggeber Plötzlich
alle Mittel streichen? Will er mir
Erfolgserstreber Nicht noch
weiteres Geld darreichen? Will er uns
nach Hause senden, wo der
Enderfolg ist nah? Soll in
Deutschland Ich verenden, Ohne dass
den Schluss Ich sah? Soll ich
denn in Deutschland schlafen? Ich bin war
ich doch kein Zwerg! Hier will
ich’s zu Ende schaffen! Gebt von
Geld mir einen Berg! Herr
Mitjaschin, bitte, bitte, Prüfen Sie
die Möglichkeit. Bleiben Sie
in unserer Mitte! Der Erfolg
ist gar nicht weit. Suchen sie,
wo braucht man mich, Wer will
das, was ich ersann, Wo zeigt
Interesse sich Für das,
was ich längst begann! |
Fertig wird
das Werk beizeiten, Wenn wir zieh’n an einen Ort, Wo
Beschaffungsmöglichkeiten Nicht mehr stör’n in einem fort. Schnell
werd’ ich’s zu Ende führ’n, Wenn die
Deutschen Mitarbeiter Mit den
Händen und der Stirn mir beim
Werke helfen weiter. Mag auch
mancher Mitarbeiter meckern, dass
er hier noch ist. Schimpfen
wird er nicht mehr weiter Und das
Heimweh er vergisst, Wenn er
kommt an einen Ort, wo ihn mehr
Kultur umweht, wenn ihm
außerdem noch dort würde das
Gehalt erhöht. Alle sind
sie dann zufrieden, freuen sich
am größren Lohn. Uns ist der
Erfolg beschieden. Glück sei der Sowjetunion.
(Gedichtet in der Arbeitszeit, nicht in der Freizeit!)
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Zweite
Ergänzung
Etwa Ende
Oktober 1950 wurden wir veranlasst, im Werkpostfach 1323 eine
Geheimhaltungsverpflichtung zu unterschreiben. Das ging so vor sich:
Eines Tages
wurde einer von uns zu einem uns unbekannten Verwaltungsmenschen gerufen. Dort
wurde ihm ein russisches Formular vorgelegt und einige Erklärungen dazu
gegeben; Dann wurde er gebeten, zu unterschreiben. Darauf kam ein anderer von
uns an die Reihe, und so ging es einige Tage, bis etwa ein halbes Dutzend von
uns abgefertigt waren. Wie üblich in solchen Fällen suchte sich die Verwaltung
zuerst diejenigen von uns aus, bei denen sie den geringsten Widerstand
vermutete. Denn durch die Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit in Moskau im
Vergleich zu Kujbyschew waren wir ja alle ziemlich oppositionell gestimmt und
weitgehend auf „Njet“ eingestellt. Zu den ersten, die
zu dieser Unterschrift unter eine Geheimhaltungsverpflichtung geholt wurden,
gehörten Béranger, Friedrichs und Fuhrmann. Von ihnen
erfuhren wir die ersten Einzelheiten; insbesonders
interessiert uns alle, ob die Unterschrift sich nur auf die
Geheimhaltungsverpflichtung bezieht oder ob damit auch ein Einverständnis mit
unserer neuen Lage und weiteren Beschäftigung bescheinigt wird. Das konnte uns
aber keiner von den ersten genau angeben.
Ein kleiner
Sonderfall war Frxx: als er von seiner
Unterschriftsleistung zurückkam, wandte er sich mit niedergeschlagenem Gesicht
an mich und wünschte mich im Vertrauen zu sprechen. Er erklärte: „in Upra habe ich ja, um eine finanzielle Lage aufzubessern,
mit der Verwaltung zusammengearbeitet und ihr Informationen über andere
Deutsche geliefert. Nun wird von dem Herrn, bei dem ich eben war, gewünscht,
dass ich hier diese Tätigkeit fortsetze. Ich möchte das aber nicht mehr tun.
Was soll ich tun?“ Ich sagte ihm etwas
etwa folgendes: „da sie nun in Upra
eine solche Tätigkeit ausgeübt haben, können Sie sie nun nicht einfach hier „Njet“ sagen. Das geht bei keinem Staatssicherheitsdienst,
ohne sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Liefern Sie ihm einige
spärliche Informationen, aber, das ist wichtig, nur solche, von denen mit
Sicherheit angenommen werden kann, dass der betreffende Herr sie schon auf
anderem Wege erfahren hat.“ An diese
Richtlinie scheint sich Frxx gehalten zu haben, und der
Sicherheitsdienst hatte wohl über kurz oder lang kein Interesse mehr an seinen
Informationen. (bereits in Upra hatte meine Frau aufgrund gehörter Gerüchte mir
gesagt, dass Frxx ein Verräter sei; für mich war Frxx der kaisertreue und gottesfürchtige Kommunist; denn er
war stolz darauf zur Kaiserzeit Ulan gewesen zu sein; er hatte davon noch
Fotos, und vor der Rückkehr in die DDR 1956 äußerte er mir gegenüber Bedenken, er
möchte doch diese Fotos behalten, aber was sagten die Kontrolle dazu? Ich redete
ihm seine Bedenken aus. Weiter hatte er zu Hause ein Harmonium und spielte
darauf besonders zur Weihnachtszeit religiöse Lieder, wozu sich bei ihm auch
ein Teil unserer Kinder einfand.
Nun zurück
zur Geheimhaltungsverpflichtung. Nachdem ein gutes halbes Dutzend von uns einzeln
abgefertigt worden war, kam ein anderer, mehr untergeordneter
Verwaltungsmenschen mit dem Formular zu uns an den Arbeitsplatz und sagte in
wenigen Worten, wir wüßten ja schon Bescheid und wir
sollen unterschreiben wie die andern vor uns. Wie unterschrieben aber im allgemeinen ich sofort. Ein Satzteil im Text des Formulars
erregte bei mir Anstoß: „erklärt habend freiwillige zu arbeiten in der
Sowjetunion“. Das konnte bedeuten „nachdem ich freiwillige erklärt habe, dass
ich in der Sowjetunuion arbeite“ oder „nachdem ich
erklärt habe, dass ich freiwillig in der Sowjetunuion
arbeite“. Das erweckte unseren Protest, besonders nachdem ich die andern über
die Zweideutigkeit dieses Satzes aufgeklärt hatte. Uns wurde geantwortet, dass
dieses Formular ursprünglich nicht für uns, sondern für deutsche
Kriegsgefangene gedruckt wurde; denn einem Teil der deutschen Kriegsgefangenen
wurde Gelegenheit gegeben, freiwilligen einen besseren Status als Zivilisten in
der Sowjetunion zu arbeiten (solche waren z.B. zu jener Zeit in großer in Agudsery bei Suchumi
eingesetzt). Nach langem Hin und Her unbeschrieben wir schließlich alle; ich
glaube, ich habe auf meinem Formular zwischen „dobrowolno“
und „rabotat“ ein Komma gesetzt, so dass sich „dobrowolno“ nur auf „erklären“ beziehen kann.
Ulm, 24.3.1982 H. Breuninger