Wie wir 1958 zurück nach Deutschland kamen Im Oktober 1946 wurden zwangsweise einige Tausend
deutsche Spezialisten mit Familienangehörigen als lebende
Reparationsleistung in die Sowjetunion umgesiedelt.
-- Briefwechsel mit seinem Bruder und seinem Vater
-- Aufzeichnungen anderer
Betroffener
-- Eigene Aufzeichnungen aus der Sowjetunion
-- Gedächtnisprotokolle direkt nach der Heimkehr 1958 Bei
der Verlagerung von Moskau, nach Suchumi blieb Frau Hoch mit ihren 3
Kindern in Tuschino zurück. Ihr Mann, Dr. Hans Hoch, war gestorben. Hans
Hoch stammte aus Krems/Österreich, hatte in Göttingen studiert und dort
an der Universität und dann in Peenemünde gearbeitet. Als
ich am Samstag, 2.7.55, im Flur unserer Poliklinik auf eine Untersuchung
beim Arzt wartete, weil ich leicht fiebrig war, kam Frau Hoch mit Ihrem
Mann an und ging gleich zum Arzt hinein. Hoch, der sonst immer gesund
aussah, machte einen sehr schlechten Eindruck und ging gebückt. Am
Nachmittag besuchte ich ihn in der Wohnung. Er lag ruhig da mit
langgestrecktem rechten Bein. Er sagte: "Gestern Abend haben wir
schlechtes Konservenfleisch gegessen; davon habe ich jetzt
Gallenschmerzen; ich habe etwas zur Schmerzlinderung erhalten, und es
bessert sich bereits. Auffallend war aber, dass auch seine
Familienmitglieder von diesem angeblich schlechten Fleisch gegessen hatten
und sich dabei wohl fühlten. Ich ging nach Hause; ich sah ihn nie mehr
lebend. Am
Sonntag, 3.7.55, erfuhren wir nachmittags, dass Hoch ins Krankenhaus
gebracht worden war. Sein Zustand hatte sich verschlimmert; Fieber war
eingetreten. Nun war gerade Flugtag in Tuschino und deswegen die Straßen
nach Moskau gesperrt. Nur mit Sondergenehmigung durften sie passiert
werden. Um diese zu erhalten, diagnostizierte die russische Ärztin
Blinddarmentzündung, obwohl sie nicht daran glaubte. So wurde Hoch,
nachdem etwa 2 Stunden wegen der Überwindung der Formalitäten zusätzlich
verflossen waren, in unser abgeschlossenes Krankenhaus, der
klinitscheskaja poliklinika Nr.6 im Pokrowski Wal Nr.4, in Moskau
gebracht. Diese Klinik unterstand einem Generalmajor; Mathilde hatte 3mal
dort gelegen (1951 wegen Venenerweiterung, 1953 wegen
Schwangerschaftsblutungen und 1954 wegen Mittelohrentzündung). Frau Hoch
fuhr nicht mit, dafür aber ein noch schnell krank geschriebener Begleiter
(des sowjetischen Sicherheitsdienstes). Am Montag erklärte; man Frau
Hoch, ihr Mann sei operiert worden und befinde sich auf dem Wege der
Besserung; er hatte tatsächlich Blinddarmentzündung gehabt, die bereits
bis zur aufgebrochenen Vereiterung fortgeschritten war.(Gudrun Hoch sagte
später, dass ihr Vater gar nicht am Sonntag, sondern erst am Montag
operiert worden sei und dass man deswegen ihrer Mutter am Montag keinen
Besuch genehmigt habe). Am Dienstag besuchte Frau Hoch ihren Mann. Sie kam
sehr betrübt zurück. Die Operation hatte 4 Stunden gedauert; das ganze
Bauchfell war bereits vereitert und wurde mit Penizillin ausgewaschen. Ich
erinnerte mich an folgendes: Einmal war Hoch im Werk in meinem Zimmer. Als
er zum Gehen aufstand, fasste er sich plötzlich an den Bauch und verzog
das Gesicht. Ich fragte, was los sei. "Ach", meinte er,
"gelegentlich habe ich hier in der Nähe der Galle Stiche; wenn ich
in Österreich bin, lasse ich mich einmal untersuchen." Das war
bereits eine Blinddarmreizung gewesen, an der er also, ohne es zu wissen,
chronisch litt. Seine vermeintlichen Magen- und Gallenschmerzen durch
Genuss schlechten Fleisches waren bereits hochgradige Blinddarmentzündung;
aber er hatte der Ärztin etwas Falsches suggeriert. Außerdem war bei ihm
der Blinddarm nicht an der üblichen Stelle, allerdings noch in einer
Lage, die bereits in kleinen Anatomien beschrieben ist, nämlich der
Wurmfortsatz war bei ihm retrocaecal bei Caecumhoehstand (s.Voß und
Herrlinger, Taschenbuch der Anatomie, Band II,. S.51) Frau
Hoch ging nun jeden Tag ins Krankenhaus. Einmal nach der Operation hatte
Hoch mächtigen Durst, durfte aber nichts trinken. Er forderte den neben
ihm liegenden Begleiter auf, die Schwester zu rufen, damit sie ihm etwas
zu trinken gäbe. Der Begleiter meinte, er sei nicht da, um
Krankenschwester zu spielen. Hoch wurde wütend, stand auf, holte sich
Wasser und trank. Das hat zweifellos zu seinem Ableben beigetragen. Am
Freitag sah ich, dass Frau Hoch ein Glas Kompott bei sich hatte, um es
ihrem Mann zu bringen. Ich fragte, ob er das essen dürfe "Ja",
sagte sie, "es geht ihm besser; er darf alles essen." Ich sagte
zu Mathilde: Nächste Woche ist Hoch tot; denn sonst dürfte er nicht
alles essen. Ein Darmdurchbruch war ja auch bereits eingetreten. Ähnlich
äußerte ich mich gegen Orlamünder, der Hoch am Donnerstag besucht hatte
und optimistisch meinte, die Ärzte lassen Hoch alles essen, also muss es
ihm besser gehen. Die Ärzte lassen auch in einem hoffnungslosen Fall den
Patienten alles essen, was er sich wünscht. Anfangs
der folgenden Woche waren die Berichte über den Zustand Hochs schon
wieder bedenklicher: ein zweiter Darmdurchbruch. Hoch wurde schwächer. Am
Donnerstag stellte sich eine Lungenentzündung ein, und am Freitag,
15.7.55 kurz vor Mitternacht starb er, ein 42jähriger. Am
Samstag fuhr ich daher in die Stadt und kaufte für den nicht ganz 12jährigen
Werner Hoch eine schwarze Hose für 105 Rubel und mir ein seidenes Hemd,
Größe 42, für 200 Rubel. Am Sonntag, 17.7.55, ging ich ins GUM und
kaufte 2m roten Satin für 26.60.und 2m weißen Satin für 21 Rubel. Das
brachte ich Frau Eitzenberger, die daraus rot-weiß-rote Kranzschleifen
machte. Da rot eine in der Sowjetunion sehr beliebte und weiß eine
neutrale Farbe ist, scheint es unsern Russen nicht aufgefallen zu sein,
dass wir Kranzschleifen in den österreichischen Landesfarben für Hochs
Kremation verwendeten. Am
Montag, 18.7.55, war die Kremation. Morgens war ich noch mit Orlamünder
bei unserem Abteilungsleiter Dworjezki, um ihm zu sagen, dass fast alle
Kollegen teilnehmen werden und dazu viele Familienangehörige. Die ursprünglich
bereit gestellte Buszahl war zu gering. Dworjezki erklärte, wir machen
operazionnoje reschenije, d.h. ohne Rücksicht auf alles andere wird alles
für die Kremation zur Verfügung gestellt. Als
wir uns in der Mittagszeit bei der Komendantura sammelten, trat ein höherer
Verwaltungsmensch des Werkes Postfach 1323 auf mich zu, sagte, er werde
einen kurzen Nachruf halten und ich möchte ihn dann ins Deutsche übersetzen.
Er gab mir seinen Zettel, damit ich mich schon über den Inhalt informiere
und dann fließend vortrage. Ich las den Anfang: "Dr. Johannes
Hoch, Bürger der Deutschen Demokratischen Republik,..." Ich sagte:
zu dem russischen Industriemanager, Hoch habe sich immer als Österreicher
betrachtet und daher möchte ich ihm raten, diese Stelle abzuändern.
Darauf sagte er: "Dann lassen wir das eben weg." Mathilde blieb mit Emma und Karl zu
Hause. Wir fuhren in einer Kohorte von etwa 7 Bussen und Personenwagen,
darunter 3 große Busse, von Tuschino durch Moskau hindurch zum
Krematorium im Gelände des ehemaligen Donskoj Klosters. Hoch war
aufgebahrt. Drei blinde Musiker spielten Orgel und Geige. Der Manager
verlas seinen Nachruf, ich übersetzte. Orlamünder sprach einige Worte für
uns Deutsche. Die Musiker spielten nochmals und dann ging der Sarg mit
Hoch in die Tiefe. In diesem. Moment machten Frau Hoch, und die ältere
Tochter Gudrun Bewegungen, als ob sie sich mit in die Tiefe stürzen
wollten. Zwei von uns hielten sie fest. Der Sarg war so hoch mit Kränzen
belegt, dass die nach der Versenkung des Sarges sich automatisch
vorschiebenden Deckel einiges von dem Schmuck einklemmten. Nach der
Versenkung hörte man, wie unten ein Wagen wegrollte. 2 Jüngere Leute von
uns, einer davon Lindenborn, wohnten der Verbrennung als Zeugen bei. Dies war
die dritte Kremation in Moskau, bei der ich war. Die erste war Frau
Kasimir am Montag, 8.10.51; die zweite Naumann am Donnerstag, 22.5.52. Die
Urne mit Hochs Asche wurde offiziell nach Krems/Österreich geschickt. So
kam er vorzeitig nach Hause. Er hatte im Frühjahr 55 als unsere Situation
unklar war, öfters die Meinung geäußert, dass er etwa in einem halben
Jahr nach Österreich komme. Sein Glaube ging in Erfüllung, aber als
Asche. Er war nicht der erste. 1952 kehrte Naumann, auch als eine Urne in
die DDR zurück; auf dem diesen begleitenden Totenschein stand nicht die
wahre Ursache Selbstmord durch Erhängen, sondern etwas anderes. Etwa
eine Woche nach Hochs Kremation kamen die Staatsangehörigkeitsausweise
aus Österreich für die ganze Familie Hoch an. Was Hoch selbst betraf,
wurde der Ausweis nachträglich in Österreich für ungültig erklärt,
weil er ausgestellt worden war, als Hoch bereits tot war. Ein Toter kann
aber keine neue Staatsangehörigkeit erwerben. So ist Hoch als staatenlos
gestorben. Denn die Ausweise bescheinigten nicht das Bestehen
der österreichischen Staatsangehörigkeit, sondern deren
Wiederherstellung. Frau Hochs Ziel war nun, so
schnell wie möglich nach Österreich zu kommen. Die sowjetischen Stellen
versprachen ihr das, aber, wer glaubt schon an deren Aussagen nach unsern
Erfahrungen vom 30.6.55. So ließ sie sich abwechslungsweise von Golecki
und mir beraten. Der Besuch ausländischer diplomatischer Vertretungen war
uns allen streng untersagt; dazu gehörte also auch die österreichische
Botschaft mit ihrem Botschafter Bischoff. Am Donnerstag, 4.8.55, nach 23
Uhr, als meine Familie schon im Bett war und ich mich auch gerade dafür
richtete, aber wegen des heißen Wetters die Türen, auch die Haustür,
noch etwas offen standen, hörte ich jemand ums Haus gehen. Ich ging
hinaus und sah Frau Hoch mit ihrem Hund. Sie kam auf mich zu und flüsterte:
"Morgen geht Gudrun auf die Botschaft." Sie bat mich, für sie
einen Brief zu schreiben. Ich tat dies; sie brauchte den Brief, nur noch
zu unterschreiben. Außerdem schrieb ich für Gudrun einen kleinen Zettel,
was sie auf der Botschaft über uns andere aussagen soll, dass jetzt
Vertreter der DDR da wären und sich manche für Westdeutsehland erklärten,
wie viele wir seien usw. Am nächsten Morgen ging ich auf dem Weg zur
Arbeit zu Hochs, die noch alle im Bett lagen. Ich gab den Brief und den
Notizzettel ab und wünschte viel Glück. Auf die Idee, Gudrun auf die
Botschaft zu schicken, hatte Stalinpreisträger Golecki Frau Hoch
gebracht, wie ich später von ihm selbst erfuhr. Nach
der Mittagspause ging ich auf dem Weg zur Arbeit erst wieder zu Hochs.
Gudrun war zurück. Alles hatte geklappt. Sie hatte sich mit einem
Botschaftsangestellten für Donnerstag, 11.8.55, in der
Landwirtschaftlichen Ausstellung verabredet. Für diesen Donnerstag gab
ich Gudrun einen Zettel mit, den sie dem Österreicher aushändigen
sollte. Er enthielt die Namen aller derjenigen, die sich von uns nun für
Österreich oder Westdeutschland erklärt hatten, und die Bitte, die Namen
der letzteren der Regierung in Bonn mitzuteilen. Ich wusste allerdings
nicht, dass damals noch keine diplomatischen Beziehungen zwischen Wien
und Bonn bestanden. Gudrun kam an diesem Donnerstag erst sehr spät nach
Hause. Am Freitag erfuhr ich, dass alles in Ordnung sei. Gudrun
hatte erkundet, dass in der Nähe der österreichischen Botschaft eine
Anstalt für chemische Reinigung und zum Färben von Kleidern ist. Frau
Hoch ging nun auf die Komendantura und sagte, sie wolle am Samstag,
13.8.55 in die Stadt und ein Kleid wegbringen, damit es schwarz, gefärbt
werde. Sie wünsche als Begleitung Frau Majewskaja. Bei Familie Hoch war
die Komendantura schon daran gewöhnt, auf spezielle Begleiterwünsche
einzugehen; denn Hoch hatte zu den Spitzen unter uns gehört. Frau
Majewskaja sah gut und vornehm aus, sprach sehr gut deutsch und war etwas
schwerfällig. Frau Hoch, Gudrun und Frau Majewskaja gingen also am
Samstag nach Moskau, Frau Hoch mit ihrem Kleiderpaket unterm Arm. Nahe am
Ziel beschleunigten Frau Hoch und Gudrun ihre Schritte; Frau Majewskaja
hatte Mühe, zu folgen. Plötzlich gingen die beiden Hochs durch eine Tür
in ein Haus und Frau Majewskaja automatisch hintendrein. Das war aber, wie
sie nun von innen feststellte, keine chemische Reinigung und Färberei,
sondern die österreichische Botschaft. Da war nun der Inspektor des
Staatssicherheitsdienstes, der dafür sorgen sollte, dass keiner von uns
unerwünschte Beziehungen anknüpft, auf gar keinen Fall mit einer
Botschaft, selber in einer Botschaft. Frau Hoch erhielt ihren Pass ausgehändigt,
und dann kehrten alle 3 wieder zurück, nachdem das Kleid doch noch
schnell in die richtige Färberei gebracht worden war. Die Komendantura
machte, wegen dieses Vorfalls nichts gegen Frau Hoch. Nur eine Frage wurde
ihr gestellt, wieso denn in dem Pass ein Bild von ihr bereits in
Trauerkleidung sei, wo sie doch behaupte, sie hätte das Bild nach Österreich
geschickt und es sei dort den Behörden übergeben worden; seit dem Tode
ihres Mannes seien doch erst 4 Wochen vergangen. Die Komendantura merkte
so, dass vorher schon jemand auf der Botschaft gewesen war. Immerhin
blieben Hochs, noch einige Zeit in Tuschino, nachdem wir bereits nach
Suchumi abgereist waren. Am 18.11.55 kehrten sie nach Krems zurück. Damit
war der Bann gebrochen; die ersten Menschen unserer Abwehrraketengruppe
waren ins Ausland zurückgekehrt, und zwar ins westliche. Es bestand kein
Grund mehr, mindestens schon die Familienangehörigen zu entlassen.
Das
waren die Fälle vorzeitiger Repatriierung, ob tot oder lebendig. Wer
sich für BRD oder Österreich entschlossen hatte oder noch schnell
entschloss wie Möller, stellte keinen Antrag. Frau Ostermann beantragte für
sich einen DDR-Pass. Ihr Mann machte auf seinem Antrag die Einschränkung
"gültig für 3 Monate nach der Rückkehr"; er wollte sich erst
die Situation in der DDR ansehen und sich innerhalb 3 Monaten eventuell für
die BRD. entschließen, während seine Frau in der DDR bleiben sollte,
um das angesparte Geld nicht verloren gehen zu lassen. Das wurde von der
DDR rundweg abgelehnt. Auch Möller wollte selber in die BRD, aber seine
Frau, in die DDR schicken, wo er Haus und Geld hatte, was ebenfalls,
abgelehnt wurde. Bei
dieser Paßaktion half Gerhard Gronau, der auch noch einmal mich am 2.6.56
sicherheitshalber fragte; Ehrenreich und Kehse machten Passbilder.
Hartenhauer fuhr dann mit den ganzen Anträgen wieder nach Moskau zur
DDR-Botschaft und kam nach einiger Zeit mit den ausgestellten DDR-Pässen
zurück.
Bis
Ende Juni waren noch BRD-Pässe als eingeschriebene Briefe von der
BRD-Botschaft in Moskau (existierte seit 16.3.56; Botschafter Wilhelm
Haas) für Familie Lertes und Herrn Kranich eingetroffen.
Am
Dienstag wurden einzelne Ingenieure unserer Gruppe, die sich, zur DDR
bekannten, vorgeladen. Es wurde über ihren möglichen Arbeitseinsatz in
der DDR gesprochen. Die Delegation machte vornehmlich Propaganda für den
Raum Dresden - Pirna, wo sich 1954 die ostdeutsche Flugzeugindustrie
etabliert hatte. Am Abend desselben Tages wurden noch 7 Mann zusammen
vorgeladen: Bleschke, Fischer, Hegermann, Kranich, Lertes, Schirge,
Stresau. Ihnen wurde erklärt, dass sie über die DDR nach West-Berlin
oder Westdeutschland entlassen würden. Diese Gruppe bestand aus den
Bereits-Besitzern westdeutscher Pässe (Fischer, Kranich, Lertes) und
denen, die ihre Frauen in Westberlin hatten (Bleschke, Hegermann, Schirge,
Stresau). Am Mittwoch wurden vornehmlich solche vorgeladen, die früher in
Kujbyschew waren, darunter alle Mechaniker gemeinsam. Hier traf die
Delegation fast durchwegs auf Ablehnung, sich in der Gegend von Dresden
beschäftigen zu lassen. Die meisten wollten unbedingt wieder zurück nach
Berlin. Nachdem
am Dienstag die nun sogenannten "echten" Westdeutschen
vorgeladen worden waren, kamen am Donnerstag die restlichen, also die
"unechten" Westdeutschen an die Reihe. Von sowjetische Seite
waren Dworjezki und der erwähnte junge Mann dabei, von Seiten der DDR die
3 Mann Delegation und Hartenhauer. Von der Delegation wurde ausgeführt,
wir würden alle in die DDR repatriiert und müssten daher DDR-Pässe
annehmen; erst in der DDR würde dann entschieden, wer auf Antrag weiter
in die BRD fahren dürfe. Heilbron fragte, ob man solche Anträge schon
jetzt an die DDR stellen könne. Es wurde mit ja geantwortet. Am meisten
protestierte Sattler gegen die vorgeschlagene. Methode; denn er wusste
genau, dass ihm die DDR nie die Auswanderung nach der BRD genehmigen würde.
Seine Frau mit 3 Kindern befand sich nämlich in Ostberlin und wollte dort
bleiben. Außerdem war dort noch eine Frau, die in Monino 3 uneheliche
Kinder gezeugt hatte, darunter das zweite von Sattler. Sattler wollte
allein nach der BRD. Bei ihm bedeutete also die Repatriierung nach der BRD
eine Trennung von seinen nächsten Angehörigen. Es entspann sich daher
eine heftige Auseinandersetzung zwischen Hartenhauer und Sattler.
Ostermann war nicht hei dieser Besprechung, weil er gerade in Urlaub
verreist war. Nach
einem Ausflug an den Riza-See am Samstag, 28.7.56. verschwand diese
Delegation wieder. In
den folgenden Tagen wurden mit den DDR-Angehörigen provisorische
Arbeitsverträge geschlossen. Dabei machten sich einige Deutsche
gegenseitig die besten Stellungen streitig; Am
11.9.56 wurden mir die Pässe von Streich ausgehändigt. Als Reiseziel
stand im Pass "Leipzig". Pingel machte es unabhängig von mir
wie ich; auch bei ihm stand als Reiseziel "Leipzig", während
bei den beiden etwas später uns anschließenden Goldberg und Lonn der
westdeutsche Ort als Reiseziel im DDR-Pass stand. Am
6. oder 7.September kam Mischa allein in mein Zimmer, wo ich auch
"gerade allein war. Es fand etwa folgendes Gespräch statt: Mischa:
Jetzt werden alle repatriiert. Ich:
Ja, endlich. Mischa:
Ein paar gehen nach Westdeutschland; Béranger geht wohl nach
Westdeutschland. Ich:
Nein, Béranger geht nach Ost-Berlin; aber ich möchte nach
Westdeutschland gehen, weil ich alle meine Verwandten da habe. Mischa:
Sie, das kommt nicht in Frage. Ich:
Wenn ich aber dazu die Genehmigung der Regierung der DDR erhalte. Mischa:
Das hat nichts zu sagen; Sie gehen nicht nach Westdeutschland. Am
Abend des 17.9- fand im Klub ein großes Abschiedsbankett für. alle
Deutschen statt. Der erste Transport fuhr am 19. Sept. ab. Pingel wollte
mit dem 2. oder 3. Transport fahren. Dworjezki erklärte, das gehe nicht,
Pingel hätte noch etwas zu tun, was aber gar nicht stimmte. So wurden wir
vier schließlich alle zum gleichen 4.Transport am 6.10.56 eingeteilt.
In jedem Transport fuhren einschließlich Familienangehörigen etwa 30
Leute. Hartenhauer machte die Transportlisten fertig; sie wurden zu
Kusnezow nach Moskau, Postfach 1037? geschickt, und dieser sorgte für die
sowjetischen Ausreise- und polnischen Durchreisevisen. Das Frachtgut wurde
jeweils 2 bis 3 Tage vor dem Transport ins "Zollhaus" geschafft;
dort wurde es von einem Zollbeamten oberflächlich kontrolliert;
gleichzeitig waren aber noch Spezialisten für Literatur, Fotos und
Filme dabei, die bedeutend genauer kontrollierten. Bewegliche Filme und
Tonbänder mussten vorgespielt, werden. Dann wurden die Kisten zum Güterbahnhof
Kelassuri gefahren. Für
den 4. Transport begann die Zollabfertigung am Mittwoch, 3.10.56. Ich
hatte mich, bei Hartenhauer ziemlich an den Schluss der Abfertigungsliste
schreiben lassen, so dass ich erst am Donnerstag drangekommen wäre. Aber
Pingel der viel weniger Gepäck hätte, hatte sich ziemlich für den
Anfang gemeldet. So fiel es bereits am Mittwochmittag auf, dass
die Lastwagen nie bei, ihm vorfuhren, sondern immer bei andern des
Transports, die in der DDR angeblich bleiben wollten. Schließlich gelang
es zu erfahren, dass wir vier auf der russischen Abfertigungsliste überhaupt
nicht standen. Wir versuchten gegen 16 Uhr, Irgendeinen zuständigen
sowjetischen Menschen zu erreichen. Aber niemand war da, kein Dworjezki,
kein Federjenko. Wie informierten Hartenhauer in seiner Wohnung. Er
versuchte seinerseits, jemand Zuständiges zu erreichen, was auch ihm
nicht gelang. Er sagte zu, sich gleich am nächsten Morgen der
Angelegenheit anzunehmen. Er dachte nur an ein Versehen. Gegen
11 Uhr wurden wir 4 zu Dworjezki gerufen. Im Vorzimmer mussten wir noch,
warten. Nach einiger Zeit kamen aus dem Zimmer Dworjezkis Hartenhauer
und Streich mit ziemlich wütenden Gesichtern und gingen an uns vorbei
hinaus. Wir traten ein. Da war außer Dworjezkl der stellvertretende
Direktor von Sinop und erklärte uns: Er sei von Oberst Kusnezow
informiert worden, dass bei uns vieren noch eine Unklarheit, bestehe.
Breuninger, Goldberg und Lonn hätten im Sommer an ihn Briefe gerichtet
mit Anträgen für BRD-Pässe. Pingel hätte vor kurzem einigen
sowjetischen Stellen gegenüber geäußert, dass auch er. nach der BRD
gehen möchte. Aber von uns seien nun DDR-Pässe vorgelegt worden. Wir möchten
daher alle vier in einem Brief an ihn klar machen, was wir eigentlich wünschten,
ob wir unsere Einstellung geändert hätten und in der DDR bleiben
wollten. Wir
entgegneten, dass er, Tschelidse, doch wisse, was die DDR-Delegation
gesagt habe, dass alle DDR-Pässe annehmen müssen und dann mit -
Genehmigung der DDR weiter nach der BRD fahren können. Tschelidse ging
darauf nicht ein, sondern wiederholte stur seine erste Ausführung; natürlich
könnten wir jetzt nicht am 6.10 fahren, sondern erst später. Das
war nun das erste Mal gewesen, dass sowjetische Menschen seit unserer
Anwesenheit in Suchumi etwas zu unserer Repatriierung sagten. Bisher saßen
sie nur schweigend dabei, wenn DDR-Vertreter sprachen. Im
.Stillen dachte ich an Mischa, sagte
aber nichts. Vielleicht war durch Intervention Panfilows nachträglich
beschlossen worden, dass wir nicht nach der BRD gehen dürfen.
Vielleicht wollte man uns durch einen solchen Brief Gelegenheit geben,
unsern Entschluss zu ändern und uns bereit zu erklären, in der DDR zu
bleiben« Später
(s. unten Punkt 29) erfuhr, ich, dass der 9.10.56 ein Stichtag war; wer
bis dahin, sich bereit erklärt hatte, in der DDR zu bleiben, wurde
repatriiert; die andern galten als Westdeutsche oder' Österreicher. Wir
gingen von Dworjezki. Wir schrieben unsere beinahe gleichlautenden
Briefe', dass wir über die DDR in die BRD zurückkehren möchten; natürlich
hätten wir nichts gegen eine direkte Repatriierung in die BRD
einzuwenden, wenn dies möglich wäre. Wir zeigten die Briefe am 5.10.
Hartenhauer und Streich, die gegen unsere Formulierungen nichts
.einzuwenden hatten. Hätte sich jemand von uns für den Verbleib in der
DDR erklärt, wäre" er vielleicht mit dem 5.Transport am 24.10.56
mitgekommen.
So
hingen wir' nun ganz in der Luft, weder DDR, noch BRD. 18. Am 7.10.56
telegraphierte, ich meinem Bruder: "Verzögerung der Abfahrt."
Er scheint aber unsern Vater nicht benachrichtigt zu haben. Am 16.10.56,
dem Tag, wo ich gedacht hatte, in Heidenheim, einzutreffen, wartete mein
80jähriger Vater mit Apfelkuchen vergeblich auf mich. Anstoß
zu dieser Pass-Sendung durch die Botschaft der BRD war vielleicht das
Bekanntwerden des Eintreffens des ersten Rücktransportes in der DDR am
23.9.56. Am
15.5.56 hatte ich Passbilder, am 24.5.56 eine Reproduktion des
Heimatscheines, am 30.5.56 einen ausgefüllten eigenen Paßantrag auf mir
von Aibling auf Anforderung gesandtem Formular -mit nach Vorbild bei.
Scheimeister selbst angefertigtem Zusatzformular, anfangs Juni nicht
verwendetes Passbild in Halbprofil, am 3.7. und 11.7.56 Paßantrag für
meine Familie nach Aibling gesandt. Ich
sprach auch mit Rompe unter 4 Augen. Ich legte ihm dar, was die
DDR-Vertretung uns zugesagt hatte und wie es ausgelaufen ist. Er wußte
dazu auch nichts zu sagen. Nach einigen Tagen fuhr Rompe wieder weg.
Vielleicht hatte er noch einige für die DDR gewinnen und bei den
sowjetischen Behörden erreichen wollen, dass diese dann gleich
repatriiert würden; das letztere war jedenfalls ein Fehlschlag. Der
Transport mit dem Rest der Ostdeutschen sollte erst in einigen Wochen
stattfinden. Am
25.10.56 rief uns andere, d.h. alle als westdeutsch oder Österreicher
verdächtige, Tschelidse zusammen. Er erklärte uns, Ende des Jahres seien
wir entsprechend dem uns in Moskau Ich
schrieb allerdings meinem Vater schon am 25.10.56, was uns offiziell
gesagt worden war, Vater erfuhr im Dez., dass in Heidenheim-Schnaitheim
gerade eine 3-Zimmer-Wohnung zu haben sei. Er mietete sie zum 1.1.57. Als
ich das dann am 21.1.57 erfuhr, telegraphierte ich zurück, die Wohnung
sofort zu kündigen. Doch musste er für 3 Monate Miete bezahlen: 3mal
105 DM. Während
Tschelidses Aufenthalt in Moskau erfuhren wir und natürlich auch unsere
sowjetische Verwaltung, dass die repatriierten Sorge und Fritsche
illegal nach der BRD abgehauen sind. Hartenhauer sagte mir etwas später,
dass die Sowjetregierung nun von der Regierung der DDR verlange, Maßnahmen
zu ergreifen, damit keiner von uns sich nach dem Westen absetzen könne.
Die DDR-Regierung versuche der Sowjetregierung klar zu machen, dass solche
Überwachungsmethoden, wie sie in unserm Fall in der Sowjetunion durchgeführt
wurden, in der DDR aus verschiedenen Gründen unmöglich sind; doch hätte
die Sowjetregierung dafür kein Verständnis. Tschelidses
Aufenthalt in Moskau dauerte länger als vorgesehen. Am 28.11.56 war er
erst wieder anwesend, ließ sich aber nicht bei uns blicken, sondern nur
verkünden, dass vor dem 12.12.56 keine Regierungsentscheidung über uns
zu erwarten sei. Wir fragten uns, wozu noch Regierungsentscheidung, wenn
doch schon entschieden war, dass wir noch 1956 nach Deutschland kommen. Nun
hatte Tschelidse wöchentlich einmal abends öffentliche Sprechstunde für
alle Institutsangehörigen im Zimmer von Federjenko in Agudsera. Wir
gingen nun am Freitag, 7-12.56. geschlossen dahin. Tschelidse wollte auf
das, was er uns am 25.10.56 gesagt hatte, nicht mehr eingehen. Über unser
Schicksal werde noch von der Sowjetregierung beraten. Das war etwa
dieselbe Auskunft wie am 16.2.55 im Klub in Tuschino. 26. Am
Donnerstag,. 20.12.56, erhielt Hartenhauer von seiner Dienststelle den
Befehl, sofort nach Berlin zurückzukehren. Er war sehr niedergeschlagen
darüber, dass er abreisen sollte, ohne dass zuvor
alle repatriiert worden waren. Aber die DDR hatte der Sowjetunion nicht
garantieren können, dass keiner von uns aus der DDR fliehen werden
30. Am
Donnerstag, 17.1.57, wurden unser 8 Mann zu Dworjezki gerufen; Buschbeck,
Eitzenberger, Joswig, Möller, Fischer, Goldberg und Sattler gehörten außer
mir dazu. Es wurde, uns ein am Vortag eingetroffener Herr Schmidt als
neuer DDR-Vertreter vorgestellt. In seiner Gegenwart erklärte Dworjezki,
dass er den Grund für die Verlängerung unseres Aufenthaltes in der
Sowjetunion nicht kenne. Schmidt hatte in Berlin Hartenhauer nur ganz kurz
in einer allgemeinen Versammlung gesprochen, in der letzterer Bericht über
seine Tätigkeit in Agudsera abgelegt hatte. Einzelheiten über uns hatte
ihm daher Hartenhauer gar nicht erzählen können. Er war der Meinung, wir
hätten irgendetwas "ausgefressen" und müssten deswegen noch länger
in der Sowjetunion bleiben. Auch er lernte nun rasch die Sowjetunion
anders kennen, als er sie sich vorgestellt hatte.
Nur
der Antrag von Karin Blasig hatte einige Zeit nach dem Tode Rehs Erfolg.
Unter Schmidts Nachfolger Michaelis kehrte sie Ende August 57 nach der DDR
zurück. Ihre Eltern und Geschwister waren schon seit Ende 56 dort; aber
sie hatte mit Reh nach Westberlin wollen. Ich
stellte im Febr. 57 auch noch über Schmidt einen Antrag auf Repatriierung
meiner Familie in die DDR, natürlich umsonst. Die Anwesenheit Schmidts
hatte wenigstens den Vorteil, dass 2 Vollmachtsangelegenheiten meiner Frau
im Zusammenhang mit - dem Tod einer Tante und ihrer Stiefmutter bequem über
Schmidt und die DDR-Botschaft erledigt werden konnten. Auch erreichte er,
dass wir Ostersamstag, 20.4.57 frei hatten. Nochmals
schrieb ich am 4.9.57 (unter Hinweis auf Mikojan, s. unten) und erhielt
beinahe wörtlich dieselbe Antwort vom 17.9.57. Wegen
eventueller vorzeitiger Rückführung der Familie schrieb Raimund am
29.6.57 ans Deutsche Rote Kreuz, das ja meinem Vater Anfang Mai
geantwortet hatte, dass ich noch wegen Fertigstellung einer Arbeit bis
Ende1958 in der Sowjetunion zu bleiben habe. Eben dahin schrieb- auch mein
Vater nochmals Mitte August und dazu gleichzeitig an Mikojan; dieser
stellvertretende Ministerpräsident ersten Ranges hatte nämlich bei einem
Besuch in der DDR etwa am 10.Aug.57 erklärt, dass längst keine
Deutschen, die im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen in die Sowjetunion
gekommen seien, mehr in der Sowjetunion wären. Dabei hat er sich
zweifellos an den Begriff der Kriegsereignisse gehalten, wie er am 15.5.57
vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil BVerwG VC 343/56 festgelegt wurde
und wonach die deutschen Spezialisten nicht infolge der Kriegsereignisse,
sondern der Kriegsfolgen zum Reparationsdienst verpflichtet wurden und
daher nicht unter das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz fallen. Die
gleiche Ansicht äußerte auch ich am 27.8.57 in einem Brief an
meinen Vater. Über
Deutsche, die als Kriegsfolge nach der Sowjetunion kamen, hat Mikojan
nicht gesprochen. Aber er hat weiter ausgeführt, dass deutsche
Staatsangehörige, die sich noch in der Sowjetunion finden sollten, auf
Wunsch ungehindert ausreisen können. Das war der Anlass nicht nur für
einen Brief meines Vaters an Mikojan, sondern auch für meinen zweiten
Brief an das sowjetische Rote Kreuz.
Auch an das Auswärtige Amt der BRD schrieben mein Vater und mein
Bruder getrennt unter Bezug auf Mikojan. Vor
unserm abgeschlossenen Wohngelände in Agudsera war ein kleiner
Lebensmittelladen, der 55/56 von einer russischen Verkäuferin namens Sina
geführt wurde; diese hatte einen etwa Berner
wollte nun mit seiner russischen Frau und seinen 3 Kindern nach Dresden in
die DDR zurückkehren. Die Töchter jammerten: Alle gehen nach
Westdeutschland, und wir sollen in die blöde DDR. Aber
der Vater ließ sich davon nicht beeinflussen. Er wollte ja seine
russische Frau behalten. Doch erhielt diese mit ihrem Sohn im Gegensatz zu
den Fällen Rühle, Schwarzer und Senst keine Ausreisegenehmigung. Die
offiziellen Stellen erklärten zunächst, Sina käme etwa 2 Monate später
nach Deutschland. Aber das ist nicht passiert. Als sich einige Monate nach
der Niederlassung Berners in Dresden die Ausreise von Frau Berner nach der
DDR aus unmöglich erwies, wurde die Ehe ferngeschieden. Wie wir später bei unserer Rückkehr in
Friedland vom Vertreter des Flüchtlingsministeriums erfuhren, fand einige
Tage nach dem 20.I.58, an dem die BRD-Botschaft die oben erwähnte
Nachricht von der Sowjetregierung erhalten hatte, eine Besprechung der
Vertreter einiger Ministerien darüber statt, wie wir bei unserer Rückkehr
zu empfangen seien und was wir an Begrüßungsgabe, zu erhalten hätten.
Ein entsprechender Erlass des Flüchtlingsministers kam am 31.1.58
heraus, Zeichen III 1a-9440/5-731/58. Die Bekanntgabe dieses Erlasses
wurde mir vom Flüchtlingsministerium mit Brief III 1a-9440/5-1519/59
vom 16.5.59 wegen des vertraulichen Charakters verweigert. Etwa zur
gleichen Zeit, wie diese Entscheidungen über uns in Bonn fielen, nämlich
am 28.1.58, erließ der Bonner Arbeitsminister eine Verordnung II
c5-2995.15-39/58, wonach die Spezialisten nicht mehr als Heimkehrer
anerkannt werden dürfen. Am 20.1.58 war ich zum letzten Mal ganztägig
und am 21.1. noch vormittags im Institut in Agudsera. Am Freitag, 24.1.58,
wurden unsere 21 Kisten kontrolliert und
zum Versand gebracht. Am 30.1.58 war wieder Abschiedsbankett im
Klub. Die sowjetischen Vertreter wünschten uns allen besten Erfolg bei
unserer zukünftigen Arbeit am neuen Ort. Leider hat keiner der Deutschen,
die viele Worte machten, einen entsprechenden Wunsch für unsere
ehemaligen Arbeitgeber geäußert. Die Repatriierungen fanden nun so
statt: Am Samstag, .1.2..58, Berner (4),
Hegermann (1) und Ostermann (5) nach der DDR, insgesamt 10 Personen. Am
Montag,: 3.2.58, Buschbeck (6) und Eitzenberger (2) nach Österreich,
insgesamt 8 Personen. Die Westdeutschen waren wieder in 2 Gruppen
eingeteilt, aber anders als zuerst. Ich gehörte jetzt zur ersten Gruppe,
die am Samstag, 8.2.58, abfuhr. Die 2.Gruppe folgte am Montag, I0.2.58. 41. Am Samstag, 8.2.58,
waren wir reisefertig. Der Koch von der Stolowaja war da und hoffte, ein
oder zwei Zimmer von unserer Wohnung zugesprochen zu erhalten; ihm
gefiel besonders mein
Kleiderschrankersatz. Er hatte privat eine Bude für 100 Rubel/Monat.
Tamara war auch da; sie erhielt den Schlüssel zum Schuppen und konnte
sich da noch alle zurückgelassenen Sachen nehmen. Mit einem Bus wurde das
Handgepäck eingesammelt. Wir waren als letzte dran. Es war schon 12 Uhr.
Dann ging es rasch zum großen Bus. Dieser fuhr diesmal nicht vom
Verwaltungsgebäude wie bei allen andern Repatriierungen ab, sondern von,
dem Haus, wo Orlamünder und Lertes wohnten. So versäumten es
einige Russen, sich von uns zu verabschieden. Um 12.30 gesetzlicher
Ortszeit fuhren wir weg. Am Bahnhof Suchumi wurden wir erst mit unserm Gepäck
in den Wartesaal für Offiziere gebracht. Wir selber hatten 6 Koffer, dazu
Emma ihren kleinen Koffer und ihren Rucksack; dazu kam eine Milchkanne mit
dem Mandarinenpflänzling und weiteres kleines Handgepäck. Im Wagen
verhielten wir ein Abteil für 4 Personen (Liegeplätze). Vor Abfahrt des
Zuges gingen noch Dworjezki und Tschelidse
durch den Wagen und verabschiedeten sich von jedem einzelnen.
Tschelidse sagte zu mir: "Nakonjez jedisch" (Schließlich fährst
du nun). Um 13.35 Moskauer Zeit fuhr der Zug Suchumi-Moskau ab. Auf der Fahrt gab ich vorbereitete
Briefe in Sotschi, Ilowajsk und Charkow auf. Das Asowsche Meer war
zugefroren. Am 9.2. wurde Karl krank: Angina. Am 10.2. morgens hatte er
39,1. In Tula kaufte ich schnell Wodka, 1/2 Liter für 43 Rubel (am 1.2.58
hätte dieses Getränk aufgeschlagen), damit Halsumschläge gemacht
werden konnten. Am 10.2.58 kamen wir um 14 Uhr auf dem Paweljzki Bahnhof
in Moskau an. Oberst Kusnezow und eine Menge Gepäckträger warteten auf
uns. Busse standen vor dem Bahnhof bereit. Wir wurden zum Weißrussischen
Bahnhof gebracht. Da kamen wir in einen Sonderwartesaal. Unsere Pässe mit
den nötigen Visen wurden uns ausgehändigt. Das letzte Geld zur Überweisung
wurde abgegeben. Mit Karl ging ich zum Bahnhofsarzt. Karl hatte da glücklicherweise
nur noch 37,4°. Dann ging ich einige Schritte in das verschneite Moskau
hinaus. Ich fühlte mich ganz besonders, einmal ein paar Schritte ohne
Begleitung als freier Mensch in Moskau gehen zu können, wo ich sonst auf
Schritt und Tritt begleitet worden war. In einem Brotwarenladen kaufte ich
noch einiges Essbares. Um 18.15 fuhr der Zug nach Berlin mit uns ab. Am
11.2. morgens waren wir in Minsk. Ich warf meinen letzten Brief ein. Um 13
Uhr kamen wir in Brest an.
Unser Zug wurde auf andere Radachsen umgesetzt. Die Grenzkontrolle fand
statt. 16.05 fuhr der Zug weiter. Der letzte Begleiter winkte vom Bahnsteig
uns nach. 16.45 fuhren wir über die Grenze nach Polen. Emma weinte:
"Jetzt verlasse ich das Land, wo ich geboren bin." Am 12.2.58
morgens 6 Uhr MEZ waren wir im Frankfurt/Oder. Wir mussten umsteigen.
Vertreter der DDR-Regierung, darunter Hartenhauer, waren da. Wir stiegen
in einen Triebwagenzug auf der andern Seite des Bahnsteiges. Wir erfuhren
später, dass das der Triebwagenzug Berlin-Prag war, der nun für uns
eingesetzt wurde und für den normalen Verkehr ausfiel. Wir erhielten,
gestiftet von der DDR-Regierung, jeder
eine Papiertasche mit Essen und Apfelsaft. Natürlich hatten wir einige
DDR-Begleiter im Zug. Wir fuhren bis Berlin-Wuhlheide und dann um Berlin
herum nach Marienborn, wo wir gegen Mittag ankamen. Die DDR-Begleiter
verließen uns, die letzte Grenzkontrolle kam; dann ging es weiter nach
Helmstedt. Abgesehen von einem Heer von Reportern wurden wir von Herrn
Stubbe als Vertreter des Auswärtigen Amtes und von einem Vertreter des Flüchtlingsministeriums
empfangen. In 2 Bussen wurden wir nach Friedland gebracht. Da dauerte der
Aufenthalt etwa einen Tag. In der Nacht vom 13. zum 14.2. fuhren wir nach
Heidenheim. 42. Schlussbemerkung: Meine
Interpretation der Ereignisse um unsere Rückkehr ist folgende: 1. Im Aug.55 wurde von der
Sowjetunion mit der DDR ein Vertrag über unsere konsularische Betreuung
geschlossen. Ulm,
den 31.12.1966 Dr.
Helmut Breuninger
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