Kurzfassung eines Vortrages von Dr. H. Breuninger am
22.10.1995 in Dresden.
Dieses
Spezialistentreffen war praktisch das erste, das nach der Wiedervereinigung
allen Spezialisten (die zwangsweise ab 1946 Reparationsleistungen in der UdSSR
erbringen mussten) aus Ost und West erlaubte, sich ungestört und unzensiert
auszutauschen.
Gemäß Programm soll ich über die Gruppe „Tuschino II“ sprechen. Ich ziehe aber die Bezeichnung „Gruppe Moskau/Suchumi“ vor. Aber zunächst zurück nach Upra.
Der Staudamm des heutigen Großkraftwerkes Kuibyschew an der Wolga, der zwischen den Orten Stawropol (heute Togliatti)) und Shigolowsk etwa 55 Kilometer oberhalb des Stadtzentrums von Kujbyschew, heute wieder wie vor 1936 Samara, liegt und ab Ende 1950 gebaut wurde, sollte bereits einige Jahre vor dem letzten Krieg (2.Weltkrieg) errichtet werden, und zwar etwas etwa 20 km weiter unten bei Krasnaja Glinka, 4 km flussaufwärts von Upra. Daher wurde damals, also um 1939, als Zentrum der Bauleitung und als Wohnort für die Arbeiter das Verwaltungsstädtchen = Uprawlentschenskij Gorodok (Upra) gegründet. Bei Ausbruch des Krieges durch den Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion wurden sofort alle Bauarbeiten eingestellt. Während des Krieges wurde im Shiguli--Gebirge Öl gefunden und daher die Baustelle für das Kraftwerk nach dem Krieg stromaufwärts verlegt. Im Oktober/November 1946 trafen viele deutsche Spezialisten, meist mit Familie in Upra ein. Sie bildeten mehrere OKB’s: OKB 1 bestand aus Junkers-Leuten aus Dessau, OKB 2 aus BMW-Leuten aus Straßfurt und OKB 3 aus Askania- Leuten aus Berlin; dazu gehörte ich.
Im Sommer 1947 arbeiteten in Upra insgesamt 637 deutsche Spezialisten. Dies ist mir aus folgenden und bekannt: die Deutschen hatten ein Vertrauensrat gewählt. Er hatte 20 Mitglieder, drei davon vom OKB 3 darunter ich. Unter anderem stellten wir eine Liste aller Spezialisten zusammen; so weiß ich dies. Aber bald wurde unser Vertrauens Rat als legale Untergrundorganisation verboten. Übrig blieb davon nur unsere interne Krankenkasse, die erfreulich war, bei damals dies Spezialisten im Krankheitsfall nur das Halbegehalt erhielten, wodurch größere Arbeiter Familien in recht in Not geraten konnten. Diese Kasse wurde uns als „Kasse der gegenseitigen Hilfe“ deswegen genehmigt, weil es so etwas z.B. auch in den Kolchosen gab. Was das OKB 3 betrifft wurden diese Krankenkassen nach unserer Verlagerung nach Moskau Ende 1950 aufgelöst.
Die technische Leitung des ORB 3 hatte bis Mai 1948 Dr. Peter Lertes. Dann wurde er durch den Russen Mitjaschin ersetzt, wobei aber die praktische technische Leitung in den Händen von Waldemar Müller lag.
Aufgabe des OKB 3 war Gerätebau für die Luftfahrt. Daher ist unter den heutigen Bewohner von Upra die schon damals da wohnten und arbeiteten, das OKB 3 als die Abteilung der „pri bory“ bekannt. Wir unterstanden dem Ministerium für Luftfahrtindustrie, dieses entließ aber das OKB 3 zum 31. August 1950. So wurden die Spezialisten des OKB 3 im September 1950 in zwei Teile geteilt. 44 wurden nach Moskau verlagert, der Rest repatriiert.
Im Laufe von fünf Monaten wurden nun in Moskau eine vollkommen neue Spezialisten zusammenstellt, die ich als Gruppe Moskau/Suchumi bezeichne. Zu den 44 Geräte- Spezialisten aus Kuibyschew stießen zunächst 13 Hochfrequenzspezialisten aus Monino, dann kamen sieben Steuerungs-Spezialisten aus Gorodomlia dazu und schließlich wurde die ganze Gruppe durch 35 Spezialisten verschiedener Richtung abgeschlossen. Diese 35 waren zunächst als politische Gefangene nach der Sowjetunion gekommen und dann in den Status von Spezialisten übergeführt worden.
So waren wir eine große Gruppe von 99 Spezialisten, dazu einige mitarbeitende Familienangehörigen. Wir unterstanden einer Sonderkommission beim Ministerrat, die unter der Leitung des 1953 liquidierten L. E. Berija war. Immerhin verdankten wir bis zu unserer Repatriierung jährlich einen freien Weihnachtsfeiertag, nämlich den 25.12..
Unser Arbeitsort war das Werk und Institut Moskau Postfach 1323, gelegen an der Leningrader Chaussee etwa 700 m stadtauswärts von der Metrostation Sokol. Die Spezialist aus Kuibyschew, Monino und Gorodomlia wohnten bis August 1951 provisorisch in Kunzewo. Dann bezogen wir mit den 35 anderen im August 1951 eine speziell für uns gebaute geschlossene Siedlung in Tuschino, die auch in der Instituts-Verwaltung „Siedlung100“ genannt wurde, weil sie aus etwa 100 Häuschen bestand, die vorfabriziert teilss von der DDR, teils von Finnland als Reparationsleistung geliefert worden waren.
Unsere Aufgabe war die Entwicklung eines Flugzeug-Abwehrsystems nach dem Vorbild des deutschen „Wasserfall“. Als Kommando-System war dabei die Bodenanlage von besonderer Bedeutung, was bisher in der Literatur kaum Beachtung fand. Außer diesen Systemen waren wir noch mit drei anderen Systemen beschäftigt, darunter zuletzt mit einer Luft-Luft Rakete. Eine kleine Gruppe unter Golecki befasste sich schon lange mit einem Autopiloten für Raketen vom Flugzeug gegen ein Schiff. Dafür gab es im Februar 1953 einen Stalin-Preis. Anschließend beschäftigte sich aber Golecki noch weiter mit seiner Steuerung, vermutlich für ihre Verwendung für Raketen vom Schiff zum Schiff.
Natürlich waren alle unsere Arbeiten streng geheim, zumal da einige von uns an der Enderprobung des „Wasserfall“-Systems in Kapustin Jar aktiv beteiligt waren. Ich selber hatte u.a. die militärische Endabnahme unserer Autopiloten im Fluggeräte Werk Fili, 1921 von Junkers gegründet, einzuweisen.
Ab März 1954 wurden wir nicht mehr mit geheimen Dingen
beschäftigt, sondern mit der Planung und Entwicklung verschiedener
Zusatzgeräte, Prüfständen und dergleichen. In September 1955, zur Zeit des
Adenauer-Besuches in Moskau, wurden wir nach Suchumi verlagert und waren dort in einer geschlossenen Siedlungen in dem kleinen Ort Agudsery
etwa 8 km südlich von Suchumi entfernt. Wir arbeiten dort an
Nebensächlichkeiten in einem Institut, das sich vorwiegend mit Nukleartechnik
befasste, einem uns fremden Gebiet. Entsprechend
den beiden damaligen Deutschland zerfielen auch wir Spezialisten durch unsere hat
Repatriierungswünsche in zwei Teile. Wer sich eindeutig für die Rückkehr in die
DDR geäußert hatte, wurde in der Zeit von September bis Dezember 1946 in die
DDR repatriiert. Karin Blasig, eine als Zeichnerin tätige Familienangehörige,
konnte aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse erst im Oktober 1957 ihren
Eltern in die DDR folgen. Alle anderen
hatten bis Februar 1958 zu bleiben. Dann gingen drei Spezialisten mit
Angehörigen in die die DDR, zwei nach
Österreich und die restlichen 21 nach der BRD.
Damit war unser
Reparationsdienst in der Sowjetunion beendet.